Wiedergutmachungs-initiative

Die Guido Fluri Stiftung lancierte 2014 die Wieder­gutmachungs­initiative. Der indirekte Gegen­vorschlag des Bundes­rates wurde 2016 vom Parlament an­genommen. In der Folge wurde die Geschichte der Heim- und Verding­kinder in der Schweiz wissenschaftlich aufgearbeitet und zahlreiche Opfer erhielten einen Solidaritäts­beitrag.

Die Guido Fluri Stiftung hatte am 10. Juli 2012 die Lancierung einer Volksinitiative angekündigt, falls die ehemalige Täterseite – insbesondere auch die staatlichen Institutionen, welche Zwangs­massnahmen ver­fügten – bis Frühjahr 2014 keine angemessene Aufarbeitungs- und Entschädigungs­regelung vorlegen könne.

31. März 2014

Eine Volksinitiative, getragen von der Guido Fluri Stiftung und unterstützt von der Zeitschrift Beo­bachter und einem über­parteilichen Komitee, wurde am 31. März 2014 lanciert. Sie verlangt die Einrichtung eines Fonds von 500 Millionen Franken zur Aus­zahlung von Abgeltungen an schwer Betroffene sowie eine breite wissen­schaftliche Aufarbeitung.

13. Januar 2015

Mit 108’709 Unterschriften ist die Wiedergut­machungs­initiative in Rekordzeit zustande gekommen.

14. Januar 2015

Bereits am Tag darauf beschliesst der Bundes­rat einen indirekten Gegenvorschlag zur Wieder­gut­machungs­initiative, jedoch mit einer im Vergleich zur Initiative niedrigeren Abgeltungs­summe von 250 bis 300 Millionen Franken.

24. Juni 2015

Der Schweizerische Bundesrat präsentiert den Entwurf eines Gesetzes – als indirekten Gegenvorschlag zur Wieder­gut­machungs­initiative von Guido Fluri – und schickt diesen in die Vernehm­lassung. Der vom Parlament zu behandelnde Entwurf sieht einerseits eine weitere Reduzierung des Gesamt­betrags, der vom Bund zu leisten ist, auf 200 Millionen Franken vor. Andererseits lädt er die Kantone und andere Protagonisten, z.B. Kirchen, Bauernschaft, Städte und Ge­meinden, auf freiwilliger Basis zur Aufstockung auf die versprochenen 300 Millionen Franken ein.

Der Entwurf formuliert Ver­fahrensregeln und nimmt dabei einige Empfehlungen des Runden Tischs auf. Im internationalen Vergleich würde sich die reiche Schweiz damit international am unteren Limit der für vergleichbares Unrecht geleisteten Beiträge an die Opfer bewegen. Der lange Zeitraum zwischen der Einsicht des Unrechts mit den Gesetzes­änderungen von 1981 und den angestrebten Zahlungen an die Opfer beträgt volle 35 Jahre. In diesem Zeitraum sind sehr viele Opfer verstorben, deren Leiden nie finanziell abgegolten wurden; die Täter­schaften blieben, mit wenigen Ausnahmen, straflos.

4. Dezember 2015

Die neue Gesetzesvorlage enthält einige Änderungen. Insbesondere soll eine neu zu schaffende Behörde zur Prüfung der Ge­suche um die einzelnen «Solidaritäts­beiträge» als «Zeichen für die Anerkennung des Unrechts und Beitrag zur Wiedergut­machung» insgesamt 6 Millionen Franken kosten.

Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement nimmt in einer Botschaft zur revidierten Vorlage Stellung. Sie ist gleichzeitig der bundesrätliche Gegen­vorschlag zur Wieder­gut­machungs­inititative. Die Gesamtsumme der Zahlungen, die als «Geste der Wiedergut­machung» definiert werden, sollen um zwei Fünftel reduziert werden.

In seinem Antrag möchte der Bundesrat die Solidaritäts­zahlungen auf 300 Millionen Franken statt wie von der Initiative gefordert 500 Millionen Franken für die noch lebenden Opfer senken. Es wird geschätzt, dass zwischen 10’000 und 25’000 Betroffene noch am Leben sind. Damit würde die ursprünglich angestrebte substantielle Zahlung an die einzelnen Opfer, je nach der Gesamtzahl der noch Lebenden, eventuell auf 15’000 Franken pro Person sinken.

Die parlamentarische Finanz­kommission brachte eine Obergrenze von 25’000 Franken pro Opfer in die Vorlage ein. Damit wird verhindert, dass der Betrag für die einzelnen Opfer erhöht würde, falls sich weniger überlebende Opfer melden können als angenommen.

Die Organisationen der Opfer hatten 2013 120’000 Franken pro Person beantragt und in der Vernehmlassung 2015 einen Kompromiss­vorschlag von 60’000 Franken pro Person gemacht.

26./27. April 2016

Nun kommt das Parlament zum Zug. SVP und FDP lehnten in der Vernehmlassung Zahlungen an die Opfer gänzlich ab. Doch gibt es etliche Vertreter:innen dieser Parteien, welche die Wiedergut­machungs­initiative unterstützen und auch den Gegen­vorschlag annahmen.

Die Debatte und Abstimmung über den Gegen­vorschlag zur Initiative im Nationalrat fand am 26./27. April 2016 statt. Die Schluss­abstimmung ergab 142 Ja-Stimmen aus allen Parteien gegenüber 26 Nein-Stimmen. Zu den Gegnern des Gegenvorschlags gehörten Toni Brunner, Natalie Rickli, Roger Köppel, Thomas Matter und Hans-Ueli Vogt sowie weitere Mitglieder der SVP. Zwar sind die Zahlungen an die Opfer mit 25’000 Franken pro noch lebende betroffene Person im internationalen Vergleich und gegenüber den Forderungen der Betroffenenorganisationen tief ange­setzt, aber sie werden von einer breiten politischen Koalition getragen.

15. September 2016

Am 15. September 2016 stimmte auch die zweite Kammer des Parlaments der Vorlage zu. Das Abstimmungs­resultat im Ständerat: 35 stimmten für die Vorlage des Bundesrats, der SVP-Ständerat Werner Hösli dagegen.

15. Februar 2017

Die Referendumsfrist gegen das Gesetz zur Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangs­massnahmen vor 1981 ist abgelaufen, es tritt somit in Kraft. Es wurden bisher 1150 Gesuche von Opfern solcher Zwangs­massnahmen eingereicht. Die meisten Opfer sind inzwischen verstorben. Die Anmeldefrist läuft bis 31. März 2018.

1. April 2017

Am 1. April 2017 trat schliesslich das Gesetz zur Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangs­massnahmen vor 1981 in Kraft. Das Gesetz sah ursprünglich vor, dass die betroffenen Personen während 12 Monaten nach dessen Inkrafttreten, das heisst bis spätestens Ende März 2018, ein Gesuch einreichen konnten. Zahlreiche weitere Personen haben aber auch danach noch ein Gesuch eingereicht.

Der National- und der Ständerat haben deshalb beschlossen, die Frist im Gesetz zur Einreichung um einen Solidaritätsbeitrag für Opfer von fürsorgerischen Zwangs­massnahmen und Fremd­platzierungen vor 1981 ersatzlos zu streichen. Damit haben betroffene Personen neu zeitlebens die Möglichkeit, ein Gesuch einzureichen. Das revidierte Gesetz trat am 1. November 2020 in Kraft.

 

Solidaritätsbeitrag: Gesuchsformular für Betroffene

Auf der Webseite des Bundesamtes für Justiz finden Sie das Gesuchs­formular und die Wegleitung für den Solidarität­sbeitrag für Opfer fürsorgerischer Zwangs­massnahmen vor. Der Solidaritäts­beitrag beträgt nach den Beschlüssen des schweizerischen Parlaments maximal 25’000 Franken, es sind 300 Millionen Franken dafür reserviert. Gesuche von schwer erkrankten Menschen oder Personen über 75 Jahren werden prioritär behandelt. Die weiteren Gesuche werden gemäss dem Eingangsdatum der Reihe nach bearbeitet.

Mehr Infos zum Solidaritätsbeitrag auf der Seite des Bundesamts für Justiz

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